Letztes Wochenende ging in Salzburg das CARECAMP über die Bühne, es handelt sich dabei um eine neue Tagungsform zum Themenbereich „Care“. TeilnehmerInnen sind also Menschen, die irgendwie im Bereich Pflege und Betreuung tätig sind, viele kommen aus der Altenpflege. Im Mittelpunkt des Carecamps steht nicht die Wissensvermittlung, wie auf anderen Kongressen, sondern der Austausch, das Lernen voneinander. Zum dritten Mal schon organisiere ich mit einer engagierten Kollegin diese Veranstaltung und jedes Mal bin ich danach beglückt und erfüllt. Heuer mehr denn je.
Seit einigen Jahren geht es in der Altenpflege zunehmend um Kosten und Kostenreduktion, um Abgrenzung, Personalbemessung und Effizienz, um Standardisierung, Nutzennachweis und wissenschaftliche Orientierung. Ich bin grundsätzlich kein Gegner von Optimierung, ganz im Gegenteil. Weiterentwicklung ist mir wichtig und Stillstand ein Gräuel. Ich bin auch keine Gegnerin von Wissenschaft, nein, ich liebe es pflegewissenschaftliche Literatur zu lesen und bin selbst frisch gebackene Alterswissenschaftlerin.
Was mir aber seit langem im Magen liegt, ist die Versachlichung eines eigentlich hoch emotionalen Berufes. In den letzten Jahren dachte ich oft mit meiner Art den Pflegeberuf zu denken, auf einem anderen Stern zu leben. Aber das Carecamp hat mich versöhnt. Jetzt weiß ich, ich bin nicht alleine. Da draußen sind viele, die bei aller Professionalität nicht vergessen haben, dass sie als Pflegepersonen vor allem Menschen begegnen und sich als Pflegende öffnen müssen, um in Kontakt treten zu können mit PatientInnen. Es sind viele, die wissen das Schönste an diesem Beruf ist der „magic moment“, also der Moment in dem ein Mensch sich zeigt mit seinem Leid, seiner Angst, seiner Freude und seiner Lebensgeschichte. Es gibt viele KollegInnen, die wissen, dass oft erst mit diesem Vertrauen und nach dieser Begegnung die Arbeit wirklich beginnt.
Gestern ging es in Workshops immer wieder um diese Erlebnisse des „magic moments“. Wir haben uns Geschichten erzählt von Begegnungen mit alten Menschen, wir haben zusammen gelacht und auch geweint. Es war einfach wunderbar zu spüren, wir sind viele! Es war wie ankommen.
Eine Geschichte hat mich ganz besonders berührt.
Ein Kollege erzählte, wie vor vielen Jahren in seinem Nachtdienst in einem Seniorenheim eine Bewohnerin verstorben war, die er kaum kannte, weil sie nicht in „seinem“ Wohnbereich lebte. Er verständigte nach dem Eintreten des überraschend schnellen Todes der Frau die Angehörigen und ging davon aus, wie es meist der Fall ist, dass diese erst am nächsten Morgen kommen würden, um Abschied zu nehmen. Aber eine Stunde später läutete es an der Türe und eine junge Frau stand weinend vor ihm mit einem Baby am Arm. Es war die Enkelin und die Urenkelin der alten Dame. Der Pflegekollege führte also die junge Frau mit Kind zum Zimmer der Verstorbenen und öffnete die Türe. Dort drehte sich die Frau zu ihm, drückte ihm wortlos das Baby in die Hand und ging zur Toten.
Da stand er der Pfleger, etwas hilflos zuerst, mit dem Baby im Arm. Was tun? Nach einiger Zeit setzte er sich mit dem Baby zu der trauernden jungen Frau, die ganz in sich gekehrt war. Und dort folgte er einem inneren Impuls, er kann in Nachhinein gar nicht mehr nachvollziehen wie es geschah, aber es geschah – das Baby griff nach der Hand der Verstorbenen, das junge Leben begegneten dem gegangenen Leben. Was dadurch entstand im Raum, zwischen ihm und der trauernden Enkelin, zwischen dem Baby, der Toten und der Mutter, beschrieb der Kollege gestern als seine berufliche „Sternstunde“ und während er das formulierte rannen ihm die Tränen übers Gesicht.
Ich bin nicht alleine!!!
Am 31.03.2015 zuerst auf der Plattform Fisch + Fleisch erschienen.
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